Jahreszeitlich ist der Sommer die Zeit der Wandlungsphase Feuer. Feuer ist in der daoistischen Medizinlehre (oder auch TCM = Traditionelle Chinesische Medizin) die einzige Wandlungsphase mit gleich vier zugeordneten Organsystemen: Herz/Dünndarm sowie Herzbeutel/3-Erwärmer. Im Organsystem Mensch ist das Herz die Kaiserin, so habe ich es gelernt.
Feuerwandlungsphase steht für die Farbe Rot. Ihre Energie: nach oben gerichtet. Entspricht die Jahreszeit Sommer dem Feuer, ist es im Tageslauf der Mittag und im Leben das junge Erwachsenenalter. Wir sind in der Mitte unserer Kraft. Dürfen aber nicht das kühlende Wasser verlieren – sonst brennen wir aus. Das Herz regiert das Blut und die Blutbahnen und speichert Shen. Shen ist der Herzgeist, einer unserer so genannten Spirits.
Herzgeist Shen – einer der Spirits
Zu den Spirits ein Einschub – denn wenn wir hören, die Chinesen ordnen den Organsystemen und den Wandlungsphasen so genannte Spirits zu, erscheint uns das erst einmal womöglich fremd.
Spirits? Geister?
„Von allen guten Geistern verlassen“ – so sagen wir es aber doch auch hier. Die Chinesen sprechen von etwas ganz ähnlichem wie wir. Nur dass sie die Spirits nicht erst dingfest machen, wenn sie erkrankt oder abhanden gekommen sind, sondern schon vorher: im gesunden und ausgewogenen Zustand. Um diesen so erhalten zu können – das ist Ziel unserer Übungen und weiter Teile der chinesischen Medizin.
Der Herzgeist Shen repräsentiert also die Wandlungsphase Feuer. Er ist unser ungetrübtes Bewusstsein, das seinen Sitz im Herzen hat und als Emotion die Freude mit sich bringt. Die ist im Übermaß denn auch der große Schädiger dieser Wandlungsphase. Aus dem Gleichgewicht geratene Freude kennen auch wir hier als medizinisches Problem: In ihrem Extrem sieht auch die westliche Medizin etwa die Manie als Teil einer Erkrankung, der manisch-depressiven Erkrankung. Ein extremes Ungleichgewicht, das auch nach hiesiger Auffassung nicht gesund ist.
Neben dem Feuer und ihrem Herzgeist Shen hat jede Wandlungsphase ihren eigenen Spirit:
- Yi, das gerichtete Denken wird Magen und Milz zugeordnet. Der Wandlungsphase Erde verbunden ist dies der irdischste Spirit – mit Aufgaben wie Organisation, Heranschaffen von Nahrung/Lebensunterhalt. Drückt sich im Übermaß als Sorge aus – auch der große Schädiger dieser Wandlungsphase. Farbe: Gelb.
- die Körperseele Po der Wandlungsphase Metall baut sich ihre Hütte aus dem Qi der Lunge und wird mit Mut und Tatendrang assoziiert. Farbe: Weiß. Im Übermaß schädigende Emotion: Trauer.
- Zhi ist die Willenskraft und hat ihren Sitz in der Niere. Wandlungsphase Wasser. Winter. Farbe: Schwarz. Schädigende Emotion: Angst.
- Und die Wanderseele Hun wird die dem Element Holz zugeordnet, das sich in alle Richtungen ausbreitet – nach oben wächst, nach unten sich verwurzelt und zur Seite hin einen breiten Stamm ausbildet und Äste verzweigt, so habe ich es in meiner Ausbildung gelernt. Frühling. Grün. Ist vielleicht so etwas wie unser Traumbewusstsein und auch mit Kreativität und Vision verbunden. Schädigende Emotion: Zorn.
Das Herz öffnet sich in die Zunge. „Und so sind Worte, gesagt oder geschrieben, heilig“, schreibt Joachim Stuhlmacher in „Die Medizin des Dao“.
Und aus meiner Ausbildung bei Gerhard Milbrat habe ich noch im Ohr: „Wer sein Herz so ganz weit offen hat, ist auch nicht ganz dicht.“
Das leistet unser Feuer-Organsystem
Das Herz reguliert den Fluss des Blutes – wir haben einen Puls, der Blut überall im Körper verteilt. Durch die Speicherung und Nährung des Shen sorgt das Herz für eine angemessene Reaktion auf die Umwelt – was sich in funktionierenden sozialen Kontakten ausdrückt, aber auch beispielsweise nächtlichem Schlaf.
Der Dünndarm trennt das Reine und Trübe – die reinen Anteile schickt er zur Milz und die trüben Anteile zum Dickdarm.
Der Herzbeutel schützt das Herz, ohne es einpanzern zu müssen.
Und der den Herzbeutel (Yin) auf der Yang-Seite komplettierende 3-Erwärmer schließlich umfasst nach der chinesischen Medizinlehre all jene Organe, die unseren Körper erwärmen. So umfasst der obere Erwärmer Lunge und Herz, der mittlere Erwärmer Magen und Milz und der untere Erwärmer den Urogenitaltrakt sowie das Gedärm. Manche Literatur bezeichnet den 3-Erwärmer auch als Kreislauf-Sexus-(Meridian).
Der 3-Erwärmer und die drei Schätze
Das Konzept des 3-Erwärmers (San Jiao) hängt wiederum auch eng mit dem der drei Schätze (San Bao) zusammen, über das ich im Rahmen meiner Ausbildung bei Gerhard Milbrat referiert habe und das mich schon immer fasziniert hat. Auf der menschlichen Ebene sind die drei Schätze praktisch die drei Aggregatzustände unserer Energie: Jing (Eis), Qi (Wasser) und Shen (Dampf).
- Jing: ist für Wachstum und Aufbau zuständig und steht vereinfacht gesagt für alles, was wir sehen und anfassen können: Knochen, Muskeln wie auch alle Körperflüssigkeiten. Beim Qigong schmieren wir praktisch alles gut durch – bilden beispielsweise mehr Speichel, aber auch mehr Gelenkflüssigkeit und andere Sekrete.
- Qi: transportiert und transformiert, leitet erwärmt, hält uns in Schwung und bringt alles in Bewegung. Wir können Qi auf sehr vielfältige Weise gewinnen, nicht nur durch Qigong und Taijiquan, sondern auch beispielsweise beim Tanzen, Laufen oder jegliche andere freudvolle Tätigkeit. Beim Qigong und Taijiquan üben wir immer, diese Energie dann auch zu speichern und ins Fließen zu bringen.
- Shen: ist unsere geistig-psychische Energie. Sie verleiht die Fähigkeit, zu beobachten und zu unterscheiden, zu erkennen und Schlüsse zu ziehen. Wir nutzen diese Kraft im Idealfall recht intensiv beim Üben – egal, ob in äußerlich stillen oder bewegten Übungen – und stärken sie dadurch auch.
In unserer Übungs-Praxis senken wir ganz dem 3-Erwärmer-Konzept folgend das Herzfeuer ins untere Dantian ab, das dann von unten her Wärme nach oben spenden kann und so für die Bildung von Dampf und Energie sorgen kann. Dampf und Energie sind dabei buchstäblich Qi – das chinesische Schriftzeichen setzt sich aus dem Zeichen für Reiskochtopf und Dampf zusammen.
Shen wiederum ist die am stärksten verfeinerte Form unserer Energie – die im 3-Erwärmer-Konzept dem Dampf entspricht, der aufsteigt. Der Herzgeist eben – oder auch unser ungetrübtes Bewusstsein.
Das Feuer am Lodern halten
Unsere Übungen mit dem Fuchen – der daoistischen Rosshaar- oder Pferdeschwanzpeitsche – haben sich für mich persönlich als echter Herzöffner bewährt. Im Sommer ist die kurze Form und die Basics zusammen mit den Kicks gern und häufig mein Atem-Qigong. Oder zumindest ein wichtiger Teil davon, natürlich nicht alles. Und der Kranich ist im Verbund der fünf Tiere aus dem Wudang Wuxing-Qigong das Feuer-Tier. Auch die einzige dieser fünf Tierformen, in die wir einfach durch Innehalten eine beliebig lange Stehübung integrieren können.
https://youtu.be/-wtS99WwYA4
So ein Innehalten ist übrigens sehr zu empfehlen auch allen Taijiquan-Übenden und auch den Schwert-Leuten: einfach mal die Form durchstehen.
Natürlich umfassen auch die übrigen Qigong-Formen etwas zur Stärkung jeder Wandlungsphase. Ausgewogenheit ist die Devise. Damit in unserem ganz persönlichen Zyklus der fünf Wandlungsphasen keine zu großen Ungleichgewichte entstehen – denn die lassen uns krank werden.
Eine schöne Übersicht über die Akupressurpunkte der Feuer-Wandlungsphase gibt Angela Cooper.
Tipp: Alle roten Lebensmittel stärken das Herz. Wie auch ganz vereinfacht gesprochen alle Lebensmittel der jeweiligen Farbe die entsprechende Wandlungsphase stärken (gelb also die Erde, weiß das Metall, schwarz das Wasser, und grün für das Holz.)
Das Herzfeuer klären
Wichtig ist, Feuer und Wasser im Gleichgewicht zu halten. Dafür gibt es einige Übungen. Eine Übung aus meiner Qigong-Grundausbildung bei Gerhard Milbrat – die neunfach reinigende Atmung – ist hier im Video mit ein paar Geschichten verbunden sehr schön zu sehen. Sie reguliert unser Herzfeuer. Man braucht nur ein paar Momente Zeit für diese neun Atemzüge und eine entspannte Übungseinstellung.
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