Trick 17

Wasser Rhein ©Nuri

 

Manchmal habe auch ich das: Die ganze Woche über sehr viel mit dem Kopf gearbeitet. Natürlich geübt, ich übe täglich und auch möglichst, wenn ich nicht übe. Aber dann habe ich doch auch mal den Kopf voll mit allem möglichen, statt ruhig da zu stehen und zu üben.

Hier etwas abarbeiten, da eine interessante Nachricht sehen, dort etwas für die Arbeit aufgreifen – im Hauptberuf bin ich Journalistin, da passiert einfach viel über kognitive Abläufe. Ich sitze auch viel vor dem Computer. Und natürlich hat das auch bei mir Folgen und dann stehe ich da, will meine Taijiquan-Form laufen. Wärm mich doch noch ein bisschen länger auf, mach doch noch ein paar Seidenübungen mehr. Gehe kleinteiliger vor. Weil auch mein Kopf gerade kleinteiliger unterwegs ist und nicht so richtig zur Ruhe kommen will.

Und dann beginne ich doch irgendwann einfach mit der Form. 28er heute. Und nehme mir spontan vor: die läufst du viermal, ohne Beginn und Ende, in einem durch. Und schon nach wenigen Augenblicken war mein Kopf still – und ist es die gesamten vier Male 28er auch geblieben.

Dazu: Die 28er ist eine Verkürzung der traditionellen Form, 108 Wudang Sanfeng. Wenn man sich die mal anguckt, dann ist das quasi: viermal die 28er laufen. Ganz exakt stimmt‘s eigentlich nicht – die 108er ist schon ein bisschen anders und auch nochmal einiges reichhaltiger, als die 28er. Aber ich seh die 28er überall durchscheinen. Und 4 mal die 28er laufen tut‘s auf jeden Fall auch.

Auch 4 mal die 18er und 4 mal die 13er sowieso.

Meister Guan hat das vor ein paar Jahren auch mal mit uns gemacht: einfach kurz vor Abschluss der Form gleich wieder in die Anfangsbewegung übergehen, und sich den eigentlichen Anfang, das Öffnen, bei den dann folgenden Läufen einfach sparen. Und sie uns in einem durchlaufen lassen. Wieder und wieder von vorn.

10.000 Gedanken durch einen ersetzen

Heute war das mal wieder meine Therapie gegen das, was ja eigentlich Stresssyndrom ist: oben voll, unten leer zu sein.

Ein Ausdruck und auch eine Folge von Stress, die wir im Qigong oder eben auch Taijiquan dadurch auflösen, dass wir den Kopf leermachen, unser Herz beruhigen, uns gut im Unterbauch verankern – am Scheitel wie aufgehängt natürlich –, den Atem fließen lassen und zur Ruhe kommen.

10.000 Gedanken durch einen ersetzen, sagt Gerhard Milbrat. Und den dann auch noch ziehen lassen.

Das Stehen und Absenken, auf das Atmen lauschen, die Füße spüren vorher, all das wirkt ja bereits. Zur Ruhe kommen ist nicht nur Effekt, sondern auch Übungsvoraussetzung. Aber zur Meditation in Bewegung wird Taijiquan (Tai Chi) manchmal eben auch bei mir erst in Bewegung wirklich. In Wochen wie diesen und hin und wieder ist das so.

Und dann lerne ich darüber auch wieder ein bisschen besser nachzuvollziehen: wie war das mal früher bei mir, in der Anfangszeit? Wie ist das für die vermutlich meisten meiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer heute noch?

Üben

Ich bin froh, dass sich die Übung für mich immer wieder dahin öffnet.
Und das wiederum ist übrigens auch der Grund, dass ich immer wieder auf so unpopuläre Themen zu sprechen komme wie täglich üben.

Die Form schenkt sich uns eben einfach erst, wenn wir täglich üben. Glaube ich.

„Lehrer müssen üben – Schüler dürfen“, habe ich mal in meiner Ausbildung gehört und davon bin ich auch überzeugt. Ihr macht das ja freiwillig.

Täglich zu üben ist andererseits fürs Taijquan nochmal unentbehrlicher, als fürs Qigong – aus dem wir uns auch durchaus einzelne Übungen merken können, ohne sie täglich zu tun und sie dann so auch eigentlich ganz nach Laune üben könnten.

Die Anforderung ist beim Taijiquan schon deshalb grundsätzlich höher, weil im Ablauf komplizierter. Und damit schwieriger, heißt es.

Andererseits denke ich: Vielleicht war es zumindest für mich persönlich damals auch genau dadurch leichter, dass ich 1995 mit Taijiquan angefangen habe und es sehr schnell lieben gelernt. Wenn ich es behalten wollte, musste ich es üben. Und das wollte ich. Schon nach der ersten Öffnung – damals noch versuchsweise nach einer Anleitung in einem Buch nur mal ausprobierend, wusste ich: Das ist es.

Als Anfängerin noch hatte ich damals nach ein paar Monaten den ersten Stresstest, aus dem mir abends nach einer mündlichen Prüfung zuhause die damals gerade erst zu einem Teil gelernte Form (die 24er Peking-Stil) herausgeholfen hat. Die ich ab da dann nicht mehr nur alle 2 Tage mal (noch im Wechsel mit Yoga) und nach einem harten Tag vielleicht mal geübt hab, sondern ab da jeden Morgen. Dafür hab ich mir lieber um halb 6 den Wecker gestellt, als es auch nur einmal zu versäumen. Aber das war ich. Vielleicht waren auch die Zeiten damals anders? Denn ich glaube, das war bei meinen Mitschüler/innen ähnlich, die wie ich auch über Jahre hinweg in den Kurs kamen und auch zu zusätzlichen Samstagsterminen und soweit ich weiß auch geübt haben. Weniger Ablenkungsmöglichkeiten vielleicht auch?

Egal eigentlich.

Auch damals war entscheidend, dass wir uns hingestellt haben.

Der Punkt ist: Wir müssen natürlich nicht täglich üben. Aber täglich zu üben IST die klassische Empfehlung. Auch für Schüler, möglichst von Anfang an. Sagen auch meine Lehrer. Ohne das geht es eigentlich nicht. Oder zumindest nicht so gut. Manche Effekte stellen sich direkt beim oder nach dem Üben ein. Insofern geht es natürlich. Andere gehen darüber hinaus – auch wenn ich das noch nie gut erklären konnte und auch jetzt damit passe.

Heute vielleicht so: wie frisch geduscht haben, aber von innen.

Oder Waldbaden. Nur ohne Wald. Foto zeigt Licht, das durch die Blätter einer Buche fällt. ©Nuri

Probiert es mal für euch aus. Übt.
Und macht das doch auch mal in Dauerschleife.
Und guckt, was passiert.

Vielleicht hilft dabei ein Trick

Manchen hat schon Trick 17 geholfen. Hat meine Mutter früher immer gesagt: „Trick 17 mit Selbstüberlistung“.

Ein Tipp, den ich gern im Kurs gebe, wenn das Thema aufkommt: Wenn du glaubst, du kannst die Form nicht mehr, stell dich hin und fang einfach an. Es reicht, wenn dir immer nur der nächste Schritt und die nächste Bewegung einfällt – mehr muss überhaupt nicht.

So kommst du auch voran.

Immer soweit, wie es dir einfällt. Wir können auch nach der Hälfte die Form abschließen oder eben den uns bisher bekannten Teil wiederholen. Das geht. Einfach machen.

Und wenn‘s hakt, ist es auch gut. Dann versuch‘s am nächsten Tag wieder.

Mir sind schon Formen verloren gegangen im Lauf der Jahre. Aber manche, die ich heute noch habe – gerade Waffenformen bei mir mit Schwert oder Fuchen, also der Rosshaarpeitsche – habe ich so immer wiedergefunden und kann sie mir erhalten, auch wenn ich sie derzeit nicht täglich übe.

Wer ein Handout von mir hat, kann ins Handout schauen – oder auch ins Video hier unter Qigong oder Taijiquan. Aber besser nicht mitmachen – nur nachgucken.

Auch beim Qigong: Eine Übung oder auch nur ein Teil davon reicht. Mach halt die eine, die dir gut tut oder Teile davon bei den komplexeren.

Und/oder mach das einfachste: Arme heben und senken, einatmend und ausatmend. „Qi wecken“ sagen sie im Yang-Stil dazu. Die Atembewegung, wenn du sie kennst. Wolkenhände.

Einen Tipp eines Lehrers aus einem anderen Stil, aus Berlin, der auch schon Leuten geholfen hat, die ihm folgen: Sobald die Stimme im Kopf anfängt nach Ausreden zu suchen, geht das Training los.

Ich finde den Tipp super. Die Stimme kennt vermutlich jeder. Und er hat recht: Die Zeit, die wir mit Ausreden verschwenden würden – in der hätten wir das Training locker mehrfach durch.

Das wiederum hat was. Und immer wieder mal hat es sogar so wie heute noch das bisschen mehr.