Wo Licht und Schatten sich begegnen

Taijiquan (Tai Chi) ist eine Kampfkunst und zugleich Form von Qigong, Meditation in Bewegung – unabhängig von Stil oder Schule. Wir üben den Bewegungsablauf in einer möglichst natürlichen Langsamkeit aus, die uns erlaubt, auch feine innere und äußere Bewegung wahrzunehmen. Was wir schnell in einer oder zwei Minuten vollführen können, gewinnt an Detail und Farbe in der Verlangsamung. Plötzlich erschließt sich eine ganze Welt, auch im Seidenfaden-Qigong (samstags in Mainz-Laubenheim). Dieses Musikvideo von einer eigentlich nur wenige Sekunden dauernden Sequenz verdeutlicht das.

Nachgiebigkeit und Weichheit zeichnen Taijiquan als Kampfkunst aus. Von innen geführte Bewegungen, die einen starken Effekt haben – nicht nur nach innen, auch nach außen: „Mit vier Unzen bewege tausend Pfund.“, heißt es in einem der Klassiker, dem Taijiquan Lun von Wang Zongyue.

Einer der Gründungslegenden des Taijiquan zufolge hat der Mönch Zhang Sanfeng vor vielen Jahren einmal in der Natur den Kampf zwischen einer Schlange und einem Kranich beobachtet. Die Schlange wich den stechenden Bewegungen des Kranichs weich aus, der Kranich gab schließlich den Kampf auf und zog ab. Durch diese Beobachtung inspiriert soll Zhang Sanfeng die Kampfkunst Taijiquan entwickelt haben.

Yin und Yang, die Harmonie der Gegensätze, ist das grundlegende Prinzip, mit dem wir im Qigong wie im Taijiquan arbeiten. Wo etwas aufsteigt, wird zugleich auch etwas sinken, wo etwas nach außen drängt, zieht sich zugleich auch etwas zurück. Und in dem Weichen ist immer auch etwas Härte enthalten sowie umgekehrt. Yin und Yang sind dabei immer nur Gegensätze in ihrem jeweiligen Verhältnis zueinander – sie sind also nicht absolut zu sehen, sondern definieren sich jeweils über ihr Gegenteil, von dem sie auch einen kleinen Anteil in sich enthalten. Außerdem ist der Moment des höchsten Yang immer auch der Moment, in dem Yin wieder zunimmt – und umgekehrt.

In seiner ursprünglichen Bedeutung heißt Yin soviel wie schattig, schattiger Ort, schattige Seite eines Berges, während Yang für die sonnenbeschienene Seite oder eine sonnenbeschienene Anhöhe steht. Das hierzulande mittlerweile schon recht bekannte Yin- und Yang-Symbol von der Harmonie der Gegensätze wird Taijitu genannt. Taijiquan ist also eine buchstäblich harmonische Kampfkunst. Dabei bedeutet Taiji soviel wie das höchste Größte, der höchste First. Oder eben auch der Gipfel des Berges, an dem sich Licht und Schatten begegnen.

Mit Blick auf die ursprüngliche Bedeutung von Yin und Yang – die schattige und die sonnenbeschienene Seite eines Bergs – gefällt mir diese Installation der Künstlerin Danae Stratou in der Wüste Sahara besonders gut. Sie zeigt Yin und Yang auf sehr ursprüngliche Weise – und das auch noch spiralförmig, was ein weiteres wichtiges Funktionsprinzip unserer Übung ist, wie auch überhaupt des menschlichen Körpers. Spiralförmig ist unsere natürliche Art uns zu bewegen.

Hier ein Video der Künstlerin.

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